Gespräch mit Prof. Paul G. Unschuld
Können Sie erklären, welche Modalitäten Sie zur Diagnose von Demenz / AD in Ihrem Zentrum verwenden?
Unser diagnostischer Ansatz steht im Einklang mit international etablierten Verfahren zur Diagnose von kognitiven Störungen und Demenz. Wir wenden einen multidisziplinären Ansatz an, an dem Ärzte verschiedener Fachrichtungen, einschließlich Psychiatrie, Neurologie und Geriatrie, zusammen mit spezialisierten Neuropsychologen beteiligt sind. Informationen, die von der Familie des Patienten und/oder Pflegepersonen bereitgestellt werden, spielen eine zentrale Rolle für das Verständnis der kognitiven Störung einer Person. Dazu gehören Informationen über den Krankheitsverlauf, Begleiterkrankungen und Beeinträchtigungen des Nervensystems. Mittels standardisierter neuropsychologischer Tests kann das Ausmaß der kognitiven Störung untersucht
werden und Informationen zu betroffenen kognitiven Domänen werden ersichtlich. Z.B.
bei der Alzheimer-Demenz wäre eine episodische Gedächtnisstörung in einem frühen
Stadium der Erkrankung zu erwarten. Diese klinischen Informationen werden durch
verschiedene Biomarker ergänzt. Biomarker können Informationen über den Verlust von
Hirngewebe, Stoffwechselstörungen oder Hinweise auf neuropathologische Veränderungen wie Amyloid-Beta oder Tau-Akkumulation liefern. Dazu setzen wir bildgebende Verfahren wie MRT und PET sowie ZNS- und Blutuntersuchungen ein.
Können Sie beschreiben, was „Blut-Biomarker“ sind und wie sie zur Diagnose von Demenz verwendet werden?
„Blut-Biomarker“ basieren auf Analysemethoden von Blutplasma oder Serum, um Informationen über neuropathologische Prozesse im Zentralnervensystem zu erhalten. Dies ist ein Bereich, der sich derzeit rasant entwickelt. Die diagnostische Genauigkeit von Blut-Biomarkern für die Diagnose von Demenz und die Gültigkeit für Längsschnitt-Follow-up-Tests sind Gegenstand laufender Studien. Gegenwärtig gibt es Marker, die über Amyloid-Beta, Tau und verschiedene andere Proteine informieren, die an kognitiven Störungen und Demenz beteiligt sind.
Können Sie beschreiben, wie die Untersuchung der „Cerebrospinalflüssigkeit“ (CSF) funktioniert?
Die Cerebrospinalflüssigkeit (CSF) umgibt das Zentralnervensystem und kann untersucht werden, um Hinweise auf pathologische Hirnveränderungen zu sammeln. Liquor kann zur klinischen Untersuchung durch Lumbalpunktion gewonnen werden. Vor der Entwicklung von „Blut-Biomarkern“ und modernen PET-Tracern war die Liquoruntersuchung die einzige Möglichkeit, Informationen über neuropathologische Veränderungen im zentralen Nervensystem zu erhalten. Die Liquoruntersuchung hat derzeit einen festen Platz in der Demenzdiagnostik.
Wann schlagen Sie vor, Blut Biomarker, Liquoranalyzse oder Gehirn-PET für die Demenz-/ AD-Diagnose zu verwenden?
Wir versuchen bei möglichst vielen Patienten eine PET durchzuführen, oft ergänzt durch eine Liquoranalyse. Sollten gegen eines der beiden Kontraindikationen bestehen, z.B. aufgrund von medizinischen Begleiterkrankungen, können Blutuntersuchungen zusätzliche diagnostische Hinweise geben.
Können Blut-Biomarker und CSF Informationen liefern, die PET nicht kann und umgekehrt?
Es gibt bestimmte Blut-Biomarker, die Aufschluss über pathologische Proteine geben können, für die meines Wissens derzeit keine PET-Tracer für den klinischen Einsatz zur Verfügung stehen. Dazu gehören TDP-43 und auch Neurofilament light (NfL). Eine wertvolle Information der PET ist die räumliche Verteilung pathologischer Veränderungen: z.B. um zu wissen, inwieweit anfällige Bereiche wie der temporale Cortex von Tauopathie betroffen sind. Dies könnte besonders hilfreich sein, um die Gehirnveränderung in frühen Stadien der Alzheimer-Krankheit zu verstehen.
Schlagen Sie vor, die eine oder andere Methode zu verwenden, oder sollten alle drei Methoden komplementär verwendet werden?
Alle drei Methoden haben sicherlich ihre besonderen Vorteile. Die Wahl einer der erwähnten Methoden sollte dem behandelnden Arzt überlassen werden, der die erforderlichen Informationen und etablierte internationale Richtlinien für die Diagnose von Demenz berücksichtigt.
Was ist der Vorteil der Gehirn-PET gegenüber anderen diagnostischen Modalitäten in der Demenz-/ AD-Diagnostik?
PET kann Informationen über die lokale Verteilung von Stoffwechselstörungen und den Aufbau von pathologischen Proteinen wie Tau und Amyloid Beta liefern.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Demenz-/ AD Diagnostik?
Hochempfindliche Assays, die eine spezifische Beurteilung der Hirnpathologie einer Person zu einem frühen Zeitpunkt der Krankheit ermöglichen.
Was sind die größten Herausforderungen in Bezug auf Demenz-/ AD-Behandlungen?
Den richtigen Zeitpunkt für die richtige therapeutische Intervention zu finden, welche genau abgestimmt auf die Hirnpathologie des Betroffenen ist.
Glauben Sie, dass es in naher Zukunft eine AD-Behandlung geben wird?
Absolut!
Über Prof. Paul G. Unschuld
Nach seinem Medizinstudium an der Universität München im Jahr 2002 setzte Paul G. Unschuld seine Ausbildung in Neurologie und Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Deutschland, fort. Während eines Postdoktorandenstipendiums von 2010 bis 2012 an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, untersuchte er die Anwendung fortschrittlicher und hochfeldstärker MR- Bildgebung bei psychiatrischen und neurodegenerativen Erkrankungen.
2012 trat Paul G. Unschuld eine Stelle als Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich an. Er gründete eine interdisziplinäre Forschungsgruppe zur Hirnalterung und kognitiver Gesundheit, die vom Schweizerischen Nationalfond, der Synapsis Foundation Alzheimer Research Switzerland und anderen finanziert wurde.
Paul G. Unschuld ist Spezialist für altersbedingte Hirnpathologien. Sein besonderes Interesse gilt dem Zusammenhang zwischen Gehirnfunktion, Neurodegeneration und psychiatrischen Erkrankungen sowie den Faktoren, die für die Erhaltung der kognitiven und psychischen Gesundheit im Alter notwendig sind. Er wurde 2020 zum Chefarzt des Geriatrischen Psychiatriedienstes der HUG und zum Professor für Geriatrische Psychiatrie an der Universität Genf ernannt.